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Ungarn: Über sozialdemokratischen und „rechten“ Neoliberalismus

Der „Rechtsruck“ war in Ungarn umfassend. Die rechtskonservative FIDESZ kam auf beinahe 53 Prozent, die nationalistische Jobbik auf ca. 17 Prozent der Stimmen. Die regierenden Sozialdemokraten (MSZP) erlitten ein Wahldebakel, sie verloren mehr als die Hälfte ihrer Anhänger und erreichten nicht einmal 20 Prozent. Rechtsliberale Bündnisse scheiterten an der Speerklausel, während die Grünen („Politik kann anders sein“) mit 7 Prozent ins Parlament einzogen. Die FIDESZ kann in der zweiten Runde möglicherweise gar die 2/3 Mehrheit im Parlament knacken.

Ob nun aber der „Rechtsruck“ wirklich ein Grund zum Jubeln ist, dies darf doch in Zweifel gezogen werden. Die FIDESZ von Viktor Orban hatte Ungarn bereits in den Jahren 1998 bis 2002 regiert und war dabei durch eine für das Land verheerende neoliberale Politik aufgefallen. Die FIDESZ ist auf europäischer Ebene Bündnispartner von CDU und CSU und fügt sich nahtlos in die „westliche Wertegemeinschaft“ ein. Orban fiel in letzter Zeit aber durch einen populistischen Kurs auf, durchaus vergleichbar mit einem Jörg Haider. Für was er in der Wirtschafts- und Sozialpolitik steht ist auch für Beobachter nicht ganz leicht zu erraten, da die FIDESZ nicht einmal ein Wahlprogramm vorlegte.

Die Wahl ist aber vor allem auch ein Debakel für die Ex-Kommunisten, der nunmaligen Sozialdemokraten, die seit Jahren die neoliberale Politik von Orban fortsetzten und den Sozialstaat in Ungarn bis auf die Unkenntlichkeit aushöhlten und abbauten. Ungarn ist heute eines der ärmsten Länder Europas, was auch zum wesentlichen Teil auf die Regierungspolitik der MSZP zurückzuführen ist. Heute leben etwa 30 Prozent der Ungarn unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosenrate stieg auf über 10 Prozent. Die Beschäftigunsrate liegt in Ungarn bei gerade einmal mageren 55 Prozent, damit sind die Ungarn Schlusslicht in der gesamten EU. Das Bildungswesens Ungarns pfeift schon lange aus den letzten Loch, gerade hier zeigt sich die Entwicklung der Klassengesellschaft. Auch liegt die Lebenserwartung der Ungarn wesentlich unter dem Durchschnitt der EU. Viele Ungarn sind dazu gezwungen sich ihren Lebensunterhalt durch Schwarzarbeit aufzubessern.

Die MSZP trieb vor allem die von der FIDESZ begonnene Privatisierung der ehemaligen Staatsbetriebe voran. Die MSZP erlaubte sich in ihrer 8-jährigen Regentschaft gleich drei Regierungschefs, was daran lag, das sämtliche Ministerpräsidenten mit diversen Korruptionsskandalen zu kämpfen hatten. Hervorzuheben wäre der „ungarische Berlusconi“ Ferenc Gyurcsany, der durch dubiose Geschäftspraktiken zu einem der wohlhabendsten Geschäftsmännern Ungarns aufstieg. Heute steht Ungarn vor dem Staatsbankrott und dies ist nicht zuletzt ein zweifelhafter Verdienst der MSZP-Regierung die auf Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung und Sozialkürzungen setzte. Während die Löhne fielen steigen die Lebenshaltungskosten, die Preise für Lebensmittel stiegen enorm an. Die Finanz- und Wirtschaftskrise nutzte die MSZP um Angriffe auf die Lohnabhängigen und Arbeitslosen durchzusetzen. Die Regierung konnte einen weiteren Abbau des Sozialstaates, sowie Lohn- und Gehaltskürzungen im Windschatten der kapitalistischen Krise durchsetzen. Die Vorgaben hierzu kamen direkt aus Brüssel, ebenso vom Internationalen Währungsfond (IWF). Ungarn wurde vorläufig vor dem Staatsbankrott gerettet, da EU und IWF einen Kredit in Höhe von 20 Milliarden Euro bereitstellten.

Der Erfolg von Jobbik beruht also vor allem auf der kapitalistischen Katastrophenpolitik, der sich nun mehr dem Wirtschaftsliberalismus hingebenden Ex-Kommunisten. Das der NPD-Parteichef Udo Voigt in einem Gratulationsschreiben nun den gemeinsamen Abwehrkampf gegen den „Bolschewismus“ beschwört ist schon deshalb kein gutes Zeichen, weil der katastrophale wirtschaftliche und soziale Zustand Ungarns eben kein Produkt des „Bolschewismus“ ist, sondern des Gulaschkapitalismus und Neoliberalismus, wie er von der MSZP und der FIDESZ betrieben wurde. Anders als mancher deutsche Nationalist glaubt ist die Jobbik jedoch keine echte „Oppositionspartei“. Jobbik und FIDESZ arbeiten bereits in zahlreichen ungarischen Gemeinden zusammen. Hochrangige Vertreter der FIDESZ waren beim Gründungskonvent der „Ungarischen Garde“ anwesend, desweiteren organisierten Jobbik und FIDESEZ gemeinsame Demonstrationen. Im Vorfeld der Wahlen bot sich die Jobbik bereits der FIDESZ als Partner an, was die FIDESZ durchaus goutierte und eine Zusammenarbeit bei Sachfragen im Parlament in Aussicht stellte. Orban wird sich also beim weiteren Angriffe auf breite Bevölkerungsschichten, bei weiteren Kürzungsmaßnahmen, bei der sogenannten „Sanierung“ des Haushaltes auf die Unterstützung der Jobbik verlassen können. Die FIDESZ wird darauf aus sein die Interessen des europäischen Finanzkapitals durchzudrücken und kann sich hierbei der Kooperation der Jobbik durchaus sicher sein. Die Jobbik wird schon einmal für eine mögliche Regierungsbeteiligung getestet. Der erste Test wird sicherlich schon die Steuersenkung für Großunternehmen sein, die von Orban im Vorfeld der Wahlen angekündigt wurden.

Problematisch ist aus Sicht deutscher Nationalisten auch das Jobbik im Sinne eines „Großungarns“ danach strebt das Burgenland zu annektieren. Jobbik möchte Ungarn in den Grenzen von 1914 wieder herstellen, was Siebenbürgen, die Vojvodina, die Karpato-Ukraine, Teile Sloweniens und der Slowakei sowie das deutsch-österreichische Burgenland umfassen würde. Im Burgenland gehören etwa 2 Prozent der Bevölkerung der ungarischen Minderheit an. Eine solche aggressive Forderung bringt folglich deutsche Nationalisten in einen Konflikt mit der Jobbik.

Das nun aber in Ungarn ein autoritäre Diktatur im Stille eines Miklos Horthy drohen soll, wie etwa einige antiimperialistische Autoren der Jungen Welt befürchten, ist mehr als unwahrscheinlich. Auch wird Jobbik nicht für die Politik der Pfeilkreuzler, der 30er und 40er Jahre des letzten Jahrhunderts stehen können. Dieses Gespenst dürfte sich ähnlich wie die Dämonisierung Jörg Haiders vor einigen Jahren in Luft auflösen. Sollte die Jobbik einst an einer Regierung Orban beteiligt werden, so hätte sie, ähnlich wie damals, die Haider-FPÖ unter den Bedingungen des internationalen Kapitals und der EU zu agieren. In Österreich bedeutete dies für die nationalfreiheitliche FPÖ: Bruch aller Wahlversprechen, die Durchsetzung einer wirtschaftsliberalen Agenda und eine Mitverantwortung für die höchste Zuwanderungsrate aller Zeiten. Ein Gegenbeispiel ist jedoch die Slowakei. Dort beteiligt sich die Slowakische Nationalpartei (SNS) an einer „Querfrontregierung“, an der auch die sozialdemokratische SMER und der populistischen HZDS beteiligt ist. Die slowakischen Kommunisten unterstützen diese Regierung formal. Der Regierungschef und Sozialdemokrat Robert Fico und die SNS haben dort eine teilweise Abkehr vom Wirtschaftsfundamentalismus durchgesetzt ohne aber einen grundsätzlichen Bruch mit Brüssel zu vollziehen. In Ungarn steht aber selbst dieser Weg des sozialen Reformismus nicht an. Wenn die Jobbik als „antikommunistische“ Partei Regierungsfähig werden will wird dies nur auf dem Ticket der wirtschaftsliberalen Rechtskonservativen funktionieren. Aufgabe der Jobbik wäre es dann Sozialkürzungen durchzusetzen, deshalb plädieren in Ungarn selbst schon liberale Professoren und Politwissenschaftler für einen Einbezug der Jobbik in eine zukünftige Regierungskoalition. Die Jobbik werde sich „einzuordnen“ haben.

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